Wege zur Höherentwicklung des Menschen: durch die Initiation
von Mstra. Flita
Die Geschichte der Initiation ist mit der Geschichte der Menschheit eng verbunden. Sie reicht in vergessene Jahrtausende zurück, so dass man zu der Meinung kommen kann, es hätte sie immer gegeben. Es gibt sie bei den „primitiven Völkern“ so, wie es sie bei den Kulturvölkern des Westens gibt. Die Formen sind verschieden, der Sinn ist der gleiche. Der eine Abschnitt des Lebens ist zu Ende; ein neuer beginnt: Der Knabe wird zum Mann, das Mädchen zur Frau.
„Initiare“ kommt aus dem Lateinischen. Initiation enthält die beiden Wortstämme von „ire“ = gehen und „in“ = hinein. Das Wort „initiare“ heißt beginnen, einweihen, und mit dem Plural von „initium“ = Anfang, verbindet sich der Gedanke des Weihevollen, Feierlichen, Heiligen.
Die Initiation findet sich bei allen Völkern und hat größere Bedeutung als z.B. die Heirat. Die Vorbereitung dauert mehrere Monate bis Jahre, in denen der Mensch die Unterstufe emporsteigt. Nach der Einweihung ist er ein neuer Mensch geworden. Die Gegenstände und Beschäftigungen haben keine Bedeutung mehr für ihn. Er lässt alles zurück, so wie es auch der Mensch tut, der die Schwelle vom Leben zum Tode überschreitet. Daher wird die Initiation mit dem Tod oder dem Todessymbol ausgedrückt. Der Tod ist ja nur ein Übergang zu einem neuen Leben, und so muß dem Initiationstod die geistige Wiedergeburt notwendig folgen.
Wir haben es hier mit einer engen Parallele mit unserem Logenritus zu tun. Beim Eintritt in die Loge wird der alte, bürgerliche Name im Räucherfeuer verbrannt. Die gleiche Idee, alles Alte zurückzulassen, finden wir bei dem Meister von Nazareth, der sagte: „Verkaufe alles, was du hast und folge mir nach!“ Wer einen solchen Schritt tut, der ihn über das Alltagsdasein hinaus und hinauf zum Göttlichen führen wird, der muß nicht nur seinen Namen ablegen, sondern auch manche lieb gewordene Gewohnheit von früher. Er tritt ja zugleich aus seiner bürgerlichen Familie heraus, er wird ihr fremd, ihr, die ihm nicht folgen kann, oder doch nur in den seltensten Fällen. Das geschieht ja nicht von einem Tage zum anderen. Wenn es auch bei uns keine Reklusionsjahre gibt wie bei den alten Kulturvölkern und heute noch bei den „primitiven Völkern“, so ist der beginnende Reifeprozeß doch deutlich daran zu erkennen, wie wir uns von unseren Familienmitgliedern und Mitmenschen langsam zu entfremden beginnen. Das ernsthafte Suchen führt über gewisse Kriterien eben einen jeden zur Einsamkeit. Und nur darin kann er sich wirklich entwickeln. Die Initiation oder Aufnahme in die Loge ist dann nur als der Abschluß einer großen Reifungsperiode anzusehen. Initiation ist somit eine Feier, wo der neue Lebenskreis seine Freude über das Suchen und Finden des Neophyten zum Ausdruck bringt. Das gleiche gilt auch für den nächsten und alle höheren Grade. Von Stufe zu Stufe wird der Strebende mehr geläutert und reicher an Erkenntnissen. Heißes eigenes Bemühen ist die Vorraussetzung. Man liefert den Nachweis, dass man gewillt ist, sich zu bewähren und bestrebt ist, den physischen und geistigen Machtkreis der Loge auszudehnen. Die Prüfungen sind verschiedene. Sie richten sich nach Zeit und Gewohnheit. Je primitiver ein Volk ist, desto grausamer, also physisch schmerzhafter, erscheinen uns diese Proben. Je höher kulturell veranlagt die Menschen sind, desto wissenschaftlicher und durchgeistigter sind die Prüfungen. Man kann an Hand der Vorschulung der Initianten sehr wohl erkennen, welches Geistwesen hinter den Initiatoren steht. So wie Dieses auf die Dauer keinen in seinen Reihen duldet, der nicht dahin gehört, so lässt Es auch niemanden einen Grad erhalten, der ihn nicht verdient. Ein Mensch kann irren, selbst der höchste Priester oder Eingeweihte – das „Höhere Selbst“ einer geistigen Gemeinschaft oder Loge niemals.
Ursprünglich gab es, wie es die Geheimlehren aller Völker überliefern, keine Initiationen. Denn das Wissen war vor Zeiten noch Gemeingut aller Rassen und aller Menschen. Aber die Menschheit bewegte sich vorwärts und abwärts zugleich, ihrem Entwicklungscyclus gemäß, fort aus der Sphäre reiner Göttlichkeit und hinab in die Materie. Das gleiche magische Wissen, das in den ersten Menschenrassen noch durchaus harmlos war, blieb es nicht mehr, als der physische dem geistigen Körper gegenüber zu dominieren begann, sei es im Leben der Menschen, sei es in der Gestaltung seiner Umwelt.
Der „Fall“ der Menschen, den törichte Kirchenchristen den „Sündenfall“ nennen, war nur eine entwicklungsbedingte Notwendigkeit, ohne die wir Menschen heute noch Tiere wären. Die Lenker der damaligen „gefallenen“ Menschheit erkannten an den Zuständen in Atlantis, dass von nun an das magische Wissen nur den Wenigen und Auserwählten gehören dürfe.
Atlantis vernichtete sich bekanntlich selbst. Zwei Parteien mächtiger Magier waren entstanden und stritten miteinander um die Herrschaft. Man hat sie schwarz und weiß genannt. Aber wer will entscheiden, was letzten Endes schwarz und was weiß ist! Wir können uns kaum ein Bild davon machen, welche Kraftpotentiale bei jenem Kampf entfesselt wurden, aber unsere heutigen Atombomben müssten den damaligen Atlantiern als Kinderspielzeuge erschienen sein. Denn: der Erdteil Atlantis versank in den Fluten unserer Weltmeere. Mit der Atomspaltung ist uns etwas ähnliches bisher noch nicht gelungen.
Die Flüchtlinge der großen Katastrophe retteten das Wissen, hüteten es für sich und ihre für würdig befundenen Nachfolger. Dieses waren weder ihre eigenen Blutsverwandten noch die Angehörigen ihrer Gastvölker. Sondern diese waren besonders ausgewählte Menschen, die für wert gehalten wurden, das furchtbare Wissen zu übernehmen und es auch richtig anzuwenden. Und das letzte war sicher das Schwerste. – Aus diesem Kreis von „Übermenschen“ entstammten denn auch die Priesterkönige der alten Zeit: Herrscher über Menschen und Geister. Sie trennten die Menschen bewusst in zwei Teile: in die Profanen und in die Eingeweihten, in Exoteriker und Esoteriker. Sie überlieferten ihr Wissen an Würdige, die sie nicht nur selbst aussuchten, sondern auch selbst heranbildeten. Um diese Schüler und deren Einweihung nicht ganz von den Profanen zu trennen, und um zugleich neue Strebende zu gewinnen, schufen die alten Hierophanten die Mysterien. Diese waren Festspiele und wurden in der ganzen Antike gefeiert. Das Volk nahm daran teil, sah und hörte und übersetzte das Dargebotene in seine eigene Sprache, gemäß den ans Irdische gebundenen Sinnen. Daraus resultierte dann fromme Anbetung der einheimischen Gottheiten und Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Der Schüler dagegen hatte sich in der Priesterschule die Schlüssel der Weisheit selbst erworben und übersetzte die Handlung des Mysteriums durch höhere Erkenntnis in naturwissenschaftlich-magisch-mystische Tatsachen und Gegebenheiten. Man muß in der Initiation nicht den großen Augenblick sehen, indem dem Initianten ein besonderes Einweihungswort vermittelt wird. Das gibt es natürlich auch, das ist dann gelegentlich ein Mantram, aber meist nur ein Passwort oder sonst ein Erkennungszeichen, ein Meisterzeichen sozusagen. Die Initiation ist wie gesagt eben nur ein Abschluß einer bestimmten Entwicklung.
Auf keinen Fall ist Einweihung „Gnade“, wie man es uns gerne weißmachen möchte. Da gelangten wir ja zum christlichen Erlösungsgedanken, daß ein anderer, ein sogenannter Meister oder Gottessohn für uns sterben müsse, dass wir dann eingeweiht werden könnten. Ein solcher Glaube ist mit der Anschauung eines Menschen des Wassermannzeitalters völlig unvereinbar.
Karma ist Resultat von Handlungen. Das Schicksal ist also kein Zufall. Und die Einweihung ist somit weder eine Gnade noch eine Erlösung. Die Theosophen glauben, sie brauchten nur in der Nähe eines ihrer Meister der sogenannten „Weißen Bruderschaft“ zu leben, bei Herrn Kut Humi oder Morya, und schon würden sie zu „Söhnen der Gottheit“ und gelangten zur Erkenntnis Gottes oder des Höheren Selbstes in sich. So einfach ist die Initiation nicht, und so schwer ist sie auch nicht! Weder eine Weiße Bruderschaft noch ein Schamaballah ist nötig. Mag es vor Jahrtausenden oder noch vor Jahrhunderten noch so gewesen sein, – das Neue Zeitalter hat andere kosmische Strömungen an uns herangeführt, und es wird nicht mehr lange dauern, bis wir mit Erlösungs- und Gnadengedanken entgültig aufgeräumt haben.
Initiationen sind nicht an Mysterienbünde gebunden. Auch die höheren, also geistigen Mächte übernehmen oft die Initiation. Wir kennen alle aus eigenem Erleben jenen Augenblick der Erkenntnis, wo es uns „wie Schuppen von den Augen fällt“.
Wir erinnern uns an unseren Weg als suchende Esoteriker. War da nicht eines Tages ein ganz banales Buch, ein ganz dummer Film, und darin ein Wort, das nur für uns allein gesagt wurde? Wir waren reif geworden, es zu verstehen, wo Millionen es achtlos an sich vorübergleiten ließen. Vielleicht war es auch gar nicht ein einfaches Wort , sondern mehr eine Rune des Schicksals? Es war uns Wegweiser, als wir einen Weg suchten. Und Wegweiser gibt es viele. Der Weise von Nazareth sagte nicht zu Unrecht: „Suchet, so werdet ihr finden. Klopfet an, so wird euch aufgetan!“ Suchen und Anklopfen sind die Vorbereitungen zur Initiation. Ob es jenen Weisen gegeben hat, ist übrigens fraglich. Aber diejenigen, die das Neue Testament geschrieben haben, haben darin manche Einweihungslehre zurückgelassen, die auch Blindheit und Fanatismus von zwei Jahrtausenden nicht vernichten konnten.
Initium ist Eingang und Beginn, Introitus im Canon der messe, und Initium ist ein Tor, das zum Allerheiligsten führt, hindurch zwischen Jakim und Boas, den beiden Tempelsäulen, zum Kelch, zum Gral. Das Abendmahl, das daraus getrunken wird, die Hostien, die daraus entnommen werden, sind das rudimentäre Initium zum wahren Selbst des Menschen, das die Kirchen anthropomorphisch als Gott bezeichnen. Teile davon nimmt der gläubige Mensch in seiner Vorstellung in sich auf und weiß doch, daß seine Gottheit unteilbar ist. Und Vorstellung ist ja das Hauptrüstwerk jeder Magie, Vorstellung, die erschafft und zerstört…
Was die Initiation war und was sie heute ist, das wissen wir. Wie sie aber in alten Zeiten vor sich ging, wie sie innerhalb der Mysterien stattfand, das wissen wir nicht genau. Wir sind auf Mutmaßungen exoterischer Schriftsteller und Philosophen angewiesen; denn entweder haben die Eingeweihten der Nachwelt gegenüber geschwiegen, oder aber haben sie sich so symbolisch ausgedrückt, dass es selbst dem esoterisch Geschulten heute nur schwer verständlich wird. So sagt Lucius Apulejus (geb. 125 n. d. Zw ): „Die Türen der Unterwelt und das Heil liegen in den Händen der Göttin Isis.“ Die Wandlung des Mysten (Initianten) beginnt mit dem Opfertod, aus dem er durch die Göttin Isis (die negative Isiskraft) zu neuem Leben erweckt wird. Wer diese Handlung erlebt hat, gilt als „wiedergeboren“, und der erste Tag seines damit beginnenden, neuen Lebens ist sein „natalis sacer“, sein heiliger Geburtstag.
Jene Worte des Apulejus können auch heute noch nicht besser und deutlicher gesagt werden. Wir nennen es anders, aber es ist doch dasselbe.
In Ägypten waren die berühmtesten Mysterien die der Göttin Isis, im griechischen Eleusis, die der Demeter und Persephone. Eine in Griechenland gefundene Grabvase zeigt uns in mythologischen Bildern das Äußere, das Erscheinungsbild einer Initiation: Ein Initiant tritt vor den Priester und opfert ihm ein Ferkel und zwei kleine Brote. Der Priester begießt das Opfer mit geweihtem Wein. Auf einem Teller trägt der Priester drei Mohnkapseln, die der Demeter geweiht waren und die als das Symbol der inneren, verborgenen Fruchtbarkeit aufgefasst werden müssen. Die Mohnkapseln hatten noch eine andere Bedeutung: denn im Mohnsaft ist das Opium enthalten, das genauso wie Bilsenkraut, Stechapfel und indischer hanf die Tore zum Jenseits, zur Unter- oder Astralwelt oder Hölle öffnet, in die noch jeder Initiant hinuntersteigen mußte, um sie zu überwinden, und dann hinauf vor das Antlitz der Gottheit zu steigen.
Das nächste Bild zeigt den Initianten mit einem Tuch über dem Kopf sitzend, in entspannter Haltung, während eine Priesterin eine Kornwanne über ihn hält, die ihm zweifelsohne die betäubenden Kräuterdämpfe in genügender Menge zuführt.
Das dritte Bild aber zeigt den Initianten, wie er vor Demeter (Isis) und ihrer Tochter Persephone (Hathor-Venus) steht, die beide brennende Fackeln tragen. Um Demeter ringelt sich eine Schlange und legt ihren Kopf dem Initianten in seine rechte Hand.
Drei Elemente brachte der Schüler aus dem profanen eben mit, das vierte aber empfängt er bei Demeter, die ihm ihre Tochter Persephone zuführt.
Folgende Sage ist überliefert: Demeter kam auf der Suche nach ihrer Tochter an den eleusinischen Königshof und verdingte sich dort als Amme. Aber anstatt das Königskind (Demophon oder Triptolemos) nur zu säugen, gab sie ihm Nektar und Ambrosia, die Götternahrung. Zudem läuterte sie ihm im Feuer, damit er unsterblich werde. – Das Räuchern der Initianten im Feuer kommt schon in den allerprimitivsten Religionen vor. Überall, wo Feuer im religiösen Brauchtum verwendet wird, hat es die Kraft rituell zu reinigen und zu stärken (Namensverbrennung!). Später finden wir in Eleusis scheinbar noch eine dritte Initiationsgottheit: Es ist Dionysos oder Bachus. Der Sage nach ist er der Sohn von Zeus (Sol) und von Persephone (Semele oder Luna), also das Ergebnis des Zusammenwirkens von Sonnen- und Mondkraft im Menschen. Der Sonnengott oder Zeus symbolisiert den Initianten; die Mondgöttin aber seine Shakti wie die Inder sagen, seine Weggefährtin, seine Frau oder Schwesterseele. Somit ist der wiedergeborene Dionysos der Hermaphrodit, das Ergebnis der höchsten und letzten Einweihung! Das sich ausbreitende Christentum verhinderte den Fortbestand der antiken Mysterien. Die Hierophanten fanden eines Tages keine Schüler mehr, denen sie hätten ihr Wissen vererben können. So starben sie, und so nahmen sie ihr Wissen mit ins Grab. Dennoch gibt es heute ihr Wissen; denn die Grablegung war nicht das Endgültige, das Schicksal des Wissens. Einmal wurden die Hierophanten ja wiedergeboren, und da bekannterweise das magisch-mystische Wissen nicht beim physischen Tod mit dem physischen Körper vernichtet wird, so gab es in ihren neuen Inkarnationen genug Möglichkeiten der Wiedererinnerung.
Viele haben schon geglaubt, ihr Werk sei für die Ewigkeit gebaut, während andere, die bescheidener waren, zumindest eine Dauer von 1000 Jahren für ihr Reich annahmen. Die Reiche freilich zerbrachen oft viel schneller, als ihre Begründer das denken konnten. Die Bauwerke der alten Zeit allerdings, stehen noch heute. Die Sphinx wurde von den alten ägyptischen Pharaonen aus dem Sande der Zeiten freigegraben, und so ist ihr Rätsel älter als jede menschliche Geschichte. Die Pyramiden stehen noch heute, und wir kennen sogar ihre Erbauer. Die einen Pyramiden waren Gräber der Großen ihrer Zeiten, die sie für die Ewigkeit beschirmen sollten. Die anderen waren Tempel der Initiation. Gräber und Tempel hatten ihre Lebenszeit und beide waren über Jahrtausende von der menschlichen Geschichte abgeschlossen, bis…, ja bis die Menschheit wieder so reife Menschen in sich entwickelt hatte, die mit dem alten Wissen etwas anfangen konnten. Auch das ist letzten Endes eine Initiation, wenn die Vorbereitungszeit sich auch über Jahrtausende erstreckte. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als die Menschheit aus dem geruhsamen Mittelalter und aus der dunklen Zeit des christlichen Dogmatismus zu erwachen begann, geschahen welt- und geistumwälzende Entdeckungen. Diese erstreckten sich auf das physische und auf das geistige Gebiet.
Die Maschine begann sich zu entwickeln und zu triumphieren, Dampfmaschinen und Flugzeuge, wie es sie nach der geheimen Überlieferung das letzte Mal vor dem Untergange von Atlantis, wenn auch in anderer Form mit anderen Kraftarten, gegeben hatte. Und zugleich kamen geniale Leute, wie H.P. Blavatzky u.a. und sammelten das alte, bei Zigeunern, Juden und Indern verstreute Wissen. Zugleich aber machten unsere wissenschaftlichen Orientalisten die alte Welt erschütternde Ausgrabungen im ganzen vorderen Orient und vor allem in Ägypten. Menschen wurden geboren, die die Hieroglyphen, die Schriftzeichen der Ägypter, lesen konnten, und somit das in den Gräbern bewahrte, nun aber aufgefundene Wissen der Welt zugänglich machen konnten. Der Welt? Das ist freilich übertrieben. Denn diese Welt vom Ende des 19. Jahrhunderts hatte im Selbstgefallen des beginnenden Maschinenzeitalters zwar den kirchlichen Dogmatismus und Aberglauben überwunden, war aber dabei, im dem noch schlimmeren Dogmatismus des Materialismus zu erstarren.
Es war bei der Verkündung des alten Wissens wie bei der Verkündung der alten Mysterien: Das ganze Volk der Gebildeten hörte die Lehren, konnte sie aber nicht erfassen, und tat sie schließlich als Romane ab. „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“, lässt Goethe seinen Wissenschaftler Faust sagen. Und wir müssen dem Schicksal sehr dankbar sein, dass es so und nicht anders geschah; denn diese obigen Entdeckungen waren die Vorbereitung zur geistigen Wiederkehr von Atlantis.
Damals hatten ja alle Menschen noch Zugang zu all dem gefährlichen Wissen und am Ende des 19. Jahrhunderts sorgten Bücher und Zeitungen auch dafür, daß das ganze Volk mit magischem und mystischem Wissen bekannt wurde. Damals in Atlantis hatten es die vielen missbraucht, heute verstanden es die vielen nicht mehr. Um so besser! Die wenigen, ob sie nun reinkarnierte Weise der alten Zeiten waren, oder ob sie Schüler der wenigen erhalten gebliebenen Bruderschaften waren, sie allein erkannten die Wahrheit und waren auch klug genug, dieses Erkennen für sich zu behalten, bzw. es wieder mit Schleiern zu umgeben, die es besser verbargen, als es jene alten Gräber gekonnt hatten.
Heute gibt es keine Mysterien- oder Initiationsschulen mehr mit Ausnahme der wenigen wahrhaft okkulten, also eingeweihten Logen. Das meiste Wissen kann man heute um wenig oder viel Geld in jedem Buchladen erstehen. Wir können diese Bücher lesen; wir können unsere Häuser in Bibliotheken okkulten Weistums verwandeln. Aber wir können es nicht anwenden. Es ist eine geistige Sperre in uns. Da stehen die Werke über Runen, über Astrologie, über Mystik, über Magie. Jedes einzige könnte uns und die Welt verändern. Aber wir sind nicht reif! Wir gleichen den Schülern der antiken Mysterien, die in ihren Tempelschulen niedrigste Dienste versahen, und die niemals vorwärtskamen, und die eines Tages als dienende Brüder daselbst ihr Leben beschlossen. Sie waren und blieben an der Pforte des Wissens. Sie blieben Schüler, ohne je ein Abschlussexamen zu machen, zumindest nicht in ihrem damaligen Dasein. Denn wenn sie auch nicht die Einweihung erreichen konnten, so hatten sie doch immer danach gestrebt. Und das unbestechliche Karma wird ihnen den gerechten Lohn gebrach haben, irgendwann, vielleicht erst heute. Es geht ja keine Kraft verloren. Darum kann man auch die Menschen nicht tadeln, die nur ihre Pflicht tun, selbst wenn es nur die der dienenden Brüder ist. Die Schulungszeit rechnet eben nicht nach Monaten und Jahren, sondern oft nach mehreren Inkarnationen. Es ist ein langer Weg zur Reife zurückzulegen; die Initiation eines Einzelnen ist ja zugleich ein Schritt nach oben für die gesamte Menschheit. Wenn einer ein wirklicher Meister wird, dann ist es, daß der Menschheit ein Erlöser geboren wird, und es heißt, dass sich dann alle Geschöpfe freuen, alle Dinge, die belebten und unbelebten. Ja, wir haben heute Zugang zu allem Wissen. Ob wir aber damit Erlöser oder Weltenlehrer werden, das liegt bei uns und unserem inneren Streben nach Wahrheit und Erkenntnis. Ob man die Bücher der großen Okkultisten von H.P. Blavatzky, von Eliphas Lévi oder Gustav Meyrink liest, man findet, daß sie alle ihr Wissen verschleiert haben. So ganz einfach macht man es uns nun auch nicht! Aber durch Übungen, durch Experimente und Meditationen gleingt es uns, Schleier um Schleier zu erkennen, Tatsache um Tatsache aus diesem Schleier zu befreien. Wie erstaunt sind wir oft selbst, wie sich Erkenntnisse uns geradezu anzubieten scheinen, wo wir sie zuvor nie vermutet haben! Ein Buch, das wir vor Jahren schon lasen, wie anders wirkt es, wenn wir es heute wieder zur Hand nehmen. Die Worte entschlüsseln sich scheinbar von selbst, und die Dinge hinter den Worten drängen zur Offenbarung. Das ist wahre Initiation. Diese kann nicht gelehrt werden, weder mündlich noch schriftlich. „Was du ererbst von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“ Das sagt schon Wolfgang Goethe, der es wissen mußte; denn bekanntlich war er selbst ein großer Eingeweihter. Das Erbe lieg da, das Erbe der vergangenen Jahrtausende, das wir übernommen oder ausgegraben haben. Wir müssen das Brot essen, wenn wir leben wollen; von welchem Ende wir beginnen, ist ganz gleichgültig. Jedes Brot hat sozusagen zwei Pole, einen positiven und einen negativen. Wir können an den beiden Enden oder in der Mitte anfangen; wir können es auf einmal hineinstopfen, und wir können es auseinanderschneiden in beliebig, viele Teile. Das bleibt dem individuellen Geschmack des Schülers überlassen. Ich würde empfehlen, manche esoterische Bücher von hinten anzufangen, denn wenn man sie von vorn beginnt, so kann man sich jahrelang mit dem Hüllen herumquälen. Ehe man zum Brot der Weisheit überhaupt gelangt, ist man alt geworden und gestorben! Die meisten Bücher nötigen Wissenden allenfalls ein Lächeln ab, wenn er liest, welche Vollkommenheit und Körperbeherrschung vom Lesenden verlangt werden, ehe er das Studium der Wahrheit beginnen darf.
Natürlich heißt das nicht, dass mehr auch ein gewisser gradmäßiger Aufbau notwendig wäre. Entscheidend dagegen ist, dass der Schüler überhaupt beginnt! Das ist die Forderung, die man an uns heute stellt. Kommen wir ihr nach, dann werden wir auch eingeweiht!
„Wege zur Höherentwicklung des Menschen“ von Mstra. FLITA: Blätter für angewandte okkulte Lebenskunst, Ausgabe September/Oktober 1962.